Orophin wrote:Maewen wrote:...kann ich mir doch nicht herausnehmen zu sagen, dass 90% der Deutsch-Muttersprachler ihre Sprache nicht korrekt verwenden.
Hm. Doch. Irgendwie schon. Irgendeine Regel muss es doch geben, sonst kann ja jeder sprechen wie er will und es ist automatisch korrekt.
Naja, aber diese 90%, von denen ich sprach, sprechen ja nicht irgendwie und wie sie wollen, sondern sie verwenden
alle an dieser Stelle den Dativ (die Zahlen stimmen so nicht, ist nur ein Beispiel). Das heißt dann doch, dass es irgendeine Entwicklung gibt/gegeben hat, die verursacht, dass sich darin die meisten einig sind.
Warum es dann Regeln gibt? Gute Frage - Menschen verstehen sich immerhin auch, ohne, dass ihre Sprache in einem Regelwerk festgehalten ist. In unserer Gesellschaft ist es allerdings schwierig, ohne ein regelwerk auszukommen - das mag in kleineren Gruppen gehen, aber der deutschsprachige Raum ist ziemlich groß und es gibt unzählige Varietäten dieser Sprache. Da ist es z.B. schon mal sinnvoll, sich auf eine Rechtschreibung zu einigen, denn wenn jeder schreiben würde, wie er spricht (siehe dazu den Dialekte-Thread), dann würde die Kommunikation unglaublich erschwert werden. Mit der Grammatik ist es ähnlich. Diese Konventionen werden ja eben gerade deshalb geschaffen, weil es eine so große Varianz gibt, man aber überall im Sprachgebiet auch eindeutig verstanden werden will. Man orientiert sich inzwischen ja auch immer daran, was die Leute tatsächlcih sagen und schreibt ihnen nicht mehr vor, wie sie zu sprechen haben - aber das ist natürlich auch nicht leicht.
Für mich als (angehenden) Lehrer des Deutschen als Fremdsprache ist das ganze ein zweischneidiges Schwert: Soll ich meinen Schülern Deutsch haargenau so beibringen wie es im Duden oder in anderen Grammatiken steht und riskieren, dass sie ein Deutsch lernen, welches so nirgends gesprochen wird? Oder soll ich ihnen beibringen wie man Deutsch
spricht? Bei letzterem stellt sich die Frage,
welches Deutsch ich ihnen beibringe, da wir eben so viele Varietäten haben (und manche davon verstehe ich selbst nicht mal). Da ist es schon wieder gut, ein Werk zu haben, welches einen Standart vermittelt, der zumindest überall verstanden werden sollte, auch wenn er in vielen Situationen fehl am Platze scheint. Für meine Schüler ist es auf jeden Fall gut, dass es festgeschriebene Regeln gibt, aber sie fragen dann natürlich auch, warum ich ihnen dies und das so beibringe, obwohl sie es bei Deutschen anders gehört haben. Oder warum ich dies und das so beibringe, obwohl es in der Grammatik anders steht.
Ich würde diesen 90% diesen (ich sag jetzt mal) "Verstoß" auch nie ankreiden, das ist eben Umgangssprache. Aber warum wird dann zwischen "korrekter" Grammatik und Umgangssprache differenziert?
Naja, das ist eben ein Konstrukt, das manch einer braucht, ein anderer aber nicht. Ein Linguist unterscheidet nicht zwischen den beiden, für ihn zählt, wie gesprochen wird. Ein Lehrer unterscheidet zwischen den beiden, da er - aus oben genannten Gründen - einen Standart vermitteln muss.
Das Wort "korrekt" kommt in der Linguisik nicht vor, da geht es lediglich um grammatisch und ungrammatisch und wenn man im Deutschen
wegen dem Mann sagen kann, dann ist das grammatisch, während
*wegen der Mann ungrammatisch wäre, weil das kein einziger Muttersprachler sagen würde.
Vielleicht ist auch der Begriff "Umgangssprache" irreführend, da er suggeriert, dass es neben der Sprache noch eine andere Sprache gibt. ich würde lediglich zwischen gesprochener und geschriebener Sprache unterscheiden. Beide sind gleichsam grammatisch (oder eben "korrekt"), aber es gelten jeweils andere Konventionen. Bei der gesprochenen Sprache sind diese freier, aber es gibt dennoch Regeln, die tatsächlich auch eingehalten werden - kein Muttersprachler produziert ungrammatische Sätze!
(Sprache hingegen ist flüchtig und wandelbar - sie muss sich sogar wandeln, das liegt in ihrer Natur.)
Warum muss sie das? Meinst du damit vielleicht, dass sich Sprachen, die sich nicht weiter entwickelt haben ausgestorben sind? z.B. Latein (nur damit kenn ich mich nicht besonders gut aus)
Latein ist eine tote Sprache, aber keine ausgestorbene! Latein hat sich zu vielen Tochtersprachen weiterentwickelt und wird deshalb nicht als ausgestorben klassifiziert.
Sprachen verändern sich notgedrungen - sie müssen sich neuen Generationen und neuen Gegebenheiten anpassen. Wenn sie das nicht tun, sind sie nicht zu gebrauchen und wenn man sie nicht braucht, spricht man sie auch nicht und wenn man sie nicht spricht, sterben sie natürlich. Ich will damit nicht sagen, dass Deutsch ausstirbt, wenn wir den Leuten verbieten, nach "wegen" den Dativ zu benutzen (
), ich will nur sagen, dass Sprachwandel eine Eigenschaft ist, die in der Natur der Sprache angelegt ist.
Ein schönes Beispiel für absolut extremen Sprachwandel ist übrigens das Englische. Wenn du dir mal altenglische Texte ansiehst, wirst du feststellen, dass Englisch eine sehr große Entwicklung durchgemacht hat, was seine Grammatik betrifft. Aber auch das Vokabular des Englischen ist heutzutage durchdrungen von Wörtern, die ursprünglich aus dem Französischen kommen. Diese Entwicklung kann man jetzt gut oder schlecht finden, sie hat sich jedenfalls vollzogen (und vollzieht sich weiter) und Englisch ist lebendiger denn je.
Ich wollte eigentlich auch gar nicht vom "Sprachverfall" oder von Sprachentwicklung anfangen,
Habe ich auch nicht so verstanden - ich finde es aber dennoch ein recht interessantes Thema